Game Over!
Henri Berners • Henri Berners: CHARLIE HEBDO als mediale Inszenierung (Last Update: 06.01.2016)
Januar
2015: die
Programmverantwortlichen von TF 1 saßen spätabends
zusammen, kaum Appetit auf Canapées und Salate, nur dem
Rotwein, Domaine
St. Jacques d'Albas 2010 und Medoc bru Bourgeois, wurde kräftig
zugesprochen. Weihnachten war passé, der Neujahrsrausch auch
ausgeschlafen, die Zeit der über die Kanäle
tageszeitabgestimmt digital fein zerstäubten klischierten
Gefühle, in der Bandbreite von sentimental-romantisch bis
Hip-Happy-X-Mas, im Kasten, und auch die Revuen und Softpornos für
den Jahreswechsel im Konservenschrank. Nervosität lag in der
Luft, ein Aufreger wurde gesucht, ein Kick-Off, um den Zuschauer für
den Einbruch des monotonen Arbeitsalltags in den Büros und
Fabriken nach dem kurzen Winterschlaf wachzurütteln. Im
Sportbereich, Sendepause, Skandale noch nicht in Sicht, Politik,
nichts Nennenswertes. Der Roman von Houellebecq als Kulturschocker,
bleibt weit unter der Quote. Ein Fake wurde kurz debattiert, Carla
Sarkozy zieht sich für Hefner aus, Honorar geht an terres des
hommes, geht nicht, Staatsrundfunk. Monsieur Bling-Bling wäre
amüsiert, aber Holland, da rollen Köpfe. Man vertagte sich,
es war Dreikönigsabend. Vielleicht käme morgen was über
die Ticker, Minenunglück in China, Erdrutsch in Kolumbien,
brennende Ölplattform im Persischen Golf, Bewährtes halt,
aber entsprechend aufgeblasen superbe Bad News.
Monate
später online:
Der Anschlag
auf Charlie
Hebdo war ein islamistisch motivierter Terroranschlag,
der am 7. Januar 2015 auf die Redaktion
der Satirezeitschrift
Charlie
Hebdo
in Paris
verübt wurde. Zwei maskierte Täter, die sich später zu
Al-Qaida
im Jemen
bekannten, drangen in die Redaktionsräume der Zeitschrift ein,
töteten elf Personen, verletzten mehrere Anwesende und brachten
auf ihrer Flucht einen weiteren Polizisten um. Am 9. Januar
verschanzten sie sich in Dammartin-en-Goële;
Sicherheitskräfte erschossen die beiden Täter.
Am
8. Januar wurde im Süden von Paris eine Polizistin von einem
weiteren schwerbewaffneten Täter erschossen. Dieser überfiel
am Tag darauf den Supermarkt
Hyper
Cacher
für koschere
Waren im Pariser Osten, tötete vier Menschen und nahm weitere
als Geiseln.
Der Täter bekannte sich telefonisch zum Islamischen
Staat
und erklärte, sein Vorgehen stehe in Verbindung mit dem Anschlag
auf Charlie
Hebdo. Er
wurde bei der Erstürmung des Supermarktes durch die
Sicherheitskräfte erschossen. (Quelle: Wikipedia)
Zurück
zum 8. und 9. Januar 2015:
Es lief doch
wie am Schnürchen. Fantastisches Timing, Show Down oder Shot
Down bei einsetzender Dämmerung, damit man die Blitze der
Blendgranaten deutlich sieht, Stellvertretungsbilder für den
Zugriff, der sich dem Blick nicht bietet, die aber immerhin das
tödliche Finale ankündigen, wie Theaterdonner, die
Ouvertüre. Außerdem bewirken sie mit ihrer hochfrequenten
Hell-Dunkel-Taktung die optischen Effekte von Diskolampen, bedienen
vor allem Sehgewohnheiten des jüngeren Publikums. Den Sound
liefern Schüsse in Salven, tontechnisch gut abgemischt für
das Heimkino mit Dolby-Surround mit basstarkem Sub Whoofer.
Dämmerung
hat auch was von Büchsenlicht, verglühendes Rotlicht am
Horizont der Seine-Metropole, ein schmaler Streifen, der mit dem
dominanten Nachtgrau kontrastiert, symbolisiert den heroischen
Untergang. Dazu top synchronisiert die Live-Schalte, weil nahtlos
zeitversetzt auf beiden Bühnen, mal Paris Orient, der
Supermarkt, nahe Porte de Vincennes. Dann wieder Dammartin-en-Goële,
im Département Seine-et-Marne, die Großdruckerei, eine
Festung. Vor allem kurz vor Primetime, sodass der Fernsehabend viel
Spannung versprach, aber schon teilentspannt nach der ersten
Katharsis, da laut Ticker die Terroristen zur Neutralisierung
eingekesselt, die Gefahr zum Restrisiko gebannt, das die
eingesperrten Geiseln im Supermarkt tragen.
Wettbewerb
der Kanäle als Wettlauf der Wahrheiten und des
Unterhaltungswerts. Neben TF 1 mit Hausrecht, nur die Giganten RT und
CNN. Hausbacken das Katastrophenprogramm von TF 1, fortlaufende
Improvisation mit Moderatoren, die nicht in der Maske waren, Hollande
im Bild, aber ohne Ton. Pannen. Click zu Russia Today, weit hinter
dem Mond, aber schon geil, wie Abby Martin, Breaking the Set,
gelernte Graswurzeljournalistin, im hautengen blauen Kleid mit
hochgestecktem brünetten Schulterlanghaar auf einem Barhocker
platziert die Zahl der Todesopfer mit investigativem Wimpernschlag
verkündet und dabei lasziv ihre langen Beine bewegt, Basic
Instinct unter dem hochgerutschten Saum? Wechsel zu CNN, valide
Zahlen, die Amis, außerdem das Moderatorenduett, Brooke
Baldwin, umwerfend blond im Faye-Dunaway-Appeal, mediale femme fatale
in gestochen scharfer HD-Qualität, und Don Lemon, ein Denzel
Washington-Klon, telegener Womanizer.
Doch
vor allem der Vor-Ort-Reporter Anderson Cooper, gerade eingeflogen,
keine Zeit für Jetlag, immer on line für online,
stahlblauer Blick, energisches Kinn, der mit dem b estechenden Charme
eines US-Marines die Taktik der französischen Polizei mit
FBI-Weisheiten kommentiert. Er ist ganz dicht an der WAHRHEIT, ganz
dicht, kennt schon die Hintergründe der Aktion, Wissensvorsprung
dank NSA, seine Prognosen treffen immer ins Schwarze. Nur noch 18
Stunden bis Waterloo für Al Kaida. Sprenggürtel oder
Kugelhagel. Wetten, dass bald Buchmacher in dieses Geschäft
einsteigen. Immerhin, Storytelling von beautiful people macht die
Terrornacht zum medialen Hochgenuss, verwöhnt die Sinne im
Theater der Grausamkeiten. Sex sells. Sex and Crime lässt die
Quoten hochschnellen. Nicht nur die Quoten. Schon immer waren
Spektakel dieser Art auch mit körperlichem Lustgewinn verbunden,
wie weiland bei öffentlichen Folterungen oder Hinrichtungen, als
orgasmierende Damen leicht in Ohnmacht fielen und den Herren der
Schöpfung nicht nur der Kamm schwoll. Lust und Leid.
Zum
TV-Genuss dann die aufbereiteten Bilder, mit Slowmotion,
Zoomeffekten, in ständiger Wiederholung, Permanenzschleifen als
Wiederkehr des Gleichen, kommentiert natürlich, bis sich das
Geschehen ins Gedächtnis eingebrannt hatte. Garniert mit
hastigen Laufzeilen in mehreren Ebenen, die zusätzliche stumme
Versorgung mit Informationen in Schrift, zeitgleich zum kommentierten
Geschehen, das die Bilder liefern, aber nicht in Synchronie mit den
Bildinhalten. Frame-Technik wie in Musikclips. Des weiteren,
Freitagabend, Auftakt zum Wochenende, länger am Bildschirm
aufbleiben können.
Die
Kulisse, ein Randgeschehen, Massen an Schaulustigen, ambitioniert für
Live-pur, flatterende Absperrbänder, ein Tross von Kamerateams,
eine Armada von Rettungsfahrzeugen, vor dem Supermarkt in Stellung
gebracht, eine Lichtorgel aus zigfach rotierenden Blaulichten. Ein
echt geiles Format.
Plötzlich
Zugriff, in Todesangst fliehende Geiseln, im gezoomten Kameraschwenk
bis zu den Sanitätern verfolgt, um die vom Schreck gezeichneten
Gesichter zu zeigen, öffentlich-rechtliche Pflicht zur
authentischen Reportage. Nach Minuten Standbild keine Aktion mehr im
Fokus, abziehende Polizisten in martialischer Bekleidung. Finale.
Blende zu, zurück ins Studio, wo das Geschehen von zwei Experten
kommentiert und bewertet wird. Fast nur noch Sprache im Indikativ.
Genial,
dieses Joint-Venture zwischen den Fernregisseuren des Spektakels im
Jemen und den Fernsehregisseuren von United Television of Europe and
the US ad hoc. Man muss nicht mehr in Türme fliegen, um
Aufmerksamkeit zu bewirken. Dieser Plot reicht für den Kick aus.
Das Drehbuch wurde im Jemen geschrieben, im Casting wurden die Brüder
rekrutiert, der eine zumindest erhielt im Camp Schauspielunterricht
bis zur Bühnenreife, weil im Gegensatz zu Sprengstoffattentaten
oder 9/11, da sind die Protagonisten unsichtbar, bei dieser
Inszenierung der muslimische Rächer des Propheten ins Bild
rückt. Das muss schon professionell rüberkommen. Bella
figura ist da Pflicht. Es sind ja nur wenige Bilder, von
Überwachungskameras aufgenommen, aber die müssen sitzen,
weil es nur ein Take gibt, sagt der Fernregisseur beim Rollenspiel im
Camp in Jemen.
Die
Jungs werden nach Hause geschickt, bis die Order mit verschlüsselter
SMS kommt. Sie sind so trainiert, gedrillt, konditioniert,
programmiert und brainwashed worden, dass sie wie Automaten
reagieren. Es sind Killer-Maschinen, wie in Computerspielen. Die
videographierten Auftritte der Brüder sind perfekt,
professionelles Handling der Kalaschnikow AK 47, hautenge schwarze
Overalls, die muskulöse Körper verraten, trittfeste
Springerstiefel, Sturmhauben, gut einstudierte Choreografie, wie sie
die Strecke bis zu ihrem Auto rappen. Sicher geübt in Parkour,
der ultimativen Art, sich durch die City zu bewegen. Nicht auf der
Flucht, nein in mission, doch die Zensur blendet verschämt die
Exekution eines Polizisten aus, nur die Schüsse verraten den
Akt. Sie sind willfährige Opfer ihrer Meister und Lehrer im
Jemen, Syrien, Pakistan, Nigeria, Mali und so fort. Bauernopfer. Ob
sie an die Prämie glauben, den Bonus für Märtyrer,
Sonnendeck in der Pool-Area mit geilen Partygirls? Egal, sie liefern
fette Schlagzeilen, halten weltweit Menschen in Atem, verursachen
hohe Staatsausgaben, sind heroes just for one day. Eine Woche,
vielleicht zwei ..
Wir
wissen nicht, wann und wo das nächste Game startet. Die
Storyboards sind längst schon geschrieben, die Akteure auch auf
der Payroll. Hollywood muss um seine Existenz fürchten. Brad
Pitt sieht verdammt gut aus, auch als Panzerkommandeur. Aber ein Said
Kouachie verspricht Authentizität in diesem Spektakel, vor allem
ECHTZEIT.
To
be continued?
Ihr Kommentar
Falls Sie Stellung nehmen, etwas ergänzen oder korrigieren möchten, können sie das hier gerne tun. Wir freuen uns über Ihre Nachricht.